Vom Buntwerden der weißen Landkarte

Ira Mollay, Lebenswertes Matznerviertel
Ein 17jähriges Mädchen aus dem deutschen Aachen hört in der Schule im Projektunterricht etwas über fremde Kulturen und Integration. Bei der Theorie allein will sie’s nicht bewenden lassen und schreibt sich glatt in eine türkische Tanzgruppe ein. Das macht Spaß und es macht auch neugierig: Daniela, so heißt sie nämlich, schnuppert auch gleich in den griechischen Tanz hinein, dem sie bis heute treu geblieben ist, und folgt einer Fährte, die sie zu ihrer großen Leidenschaft führt: der Beschäftigung mit den Kulturen Zentralasiens. Die Länder, die sie seitdem besucht, sind für die meisten von uns unbekannte Flecken auf der Landkarte. Mal ganz ehrlich, Hand hoch: Wer wüsste auf Anhieb, wo die Uiguren zu Hause sind, wie man Tadschikistan richtig schreibt oder gar was eine Kyl Kobyz ist?
Daniela Lieberwirth, gelernte Betriebswirtin und im Rechnungswesen einer Hilfsorganisation tätig, weiß das alles – als Hobby, aus Interesse und Neugier. Seit rund drei Jahren beschäftigt sie sich in ihrer Freizeit intensiv mit Kunst und Kultur im Südkaukasus und den zentralasiatischen ehemaligen Sowjet-Republiken Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Turkmenistan und Tadschikistan. Im Gespräch mit Daniela werde ich selbst neugierig: Was macht für sie den Reiz dieser Kulturen aus? Daniela erzählt von uralten Traditionen und Bräuchen, die in die Zeit bis weit vor der Islamisierung zurückreichen – und selbst die liegt weit mehr als tausend Jahre zurück. Und das Verblüffende: Diese Traditionen sind noch sehr lebendig und in das heutige Leben integriert. Keine Hochzeit in Usbekistan ohne Karnay, eine fast zwei Meter lange „Trompete“, die etwa jene Rolle übernimmt, die bei „uns“ am Land die Hupkonzerte im Hochzeitskonvoi spielen.
Daniela spricht aber auch von der großen Offenheit, der warmen Herzlichkeit und einer ganz außergewöhnlichen Gastfreundschaft in jenen Ländern. Sie meint, da könnten wir viel davon lernen. Zwei- bis dreimal im Jahr zieht es sie dorthin, dazwischen gibt es regen Austausch über die sozialen Medien. Enge persönliche Freundschaften hat Daniela auch schon geschlossen. „In unseren Breiten leben wir recht vereinzelt,“ meint Daniela, „doch in Zentralasien wird Familie viel intensiver gelebt.“ Das hat sie beispielsweise bei den 40-Tages-Feiern erfahren: Zu diesem Zeitpunkt wird der Nachwuchs von den stolzen Eltern der gesamten Verwandtschaft präsentiert. Alle kommen, auch von ganz weit her. „Dort gibt es zwischen den entferntesten Verwandten mehr Kontakt als bei uns zu den nächsten Angehörigen,“ meint Daniela.
Mit kultureller Vielfalt kennt sie sich aus – in der Theorie weiß Daniela genauso gut Bescheid wie in der Praxis: Sie erzählt mit leuchtenden Augen über die schamanischen Wurzeln der kasachischen Musik, über die aus Maulbeerholz gefertigte und mit Saiten aus Pferdehaar bespannte Kyl Kobyz – ein zweisaitiges Streichinstrument, das sie sogar selbst zu lernen versucht. Es bleibt nicht nur bei Musik und Tanz: Auch die unterschiedlichen Keramiktechniken, die Holzschnittkunst, Metallziselierungen, die dem Batiken entfernt verwandte Ikat-Technik, mit der man flammende Verlaufsmuster in Garnstränge zaubert oder die Miniaturmalerei jener Regionen haben es Daniela angetan.
Doch wer meint, nun schon genug zu wissen: Weit gefehlt, jetzt geht es erst richtig los: Vor einem Jahr hat Daniela den Verein KultEurasia gegründet, mit dem sie ihre Leidenschaft für die zentralasiatischen Kulturen auch hierzulande weitergeben möchte. Der Verein organisiert Konzerte und Kulturveranstaltungen, informiert in Vorträgen und Ausstellungen und nicht zuletzt auch auf der umfangreichen und äußerst informativen Website kulteurasia.org und sieht sich auch als Vermittlungsinstitution.
Die Vermittlung, das einander näher Bringen verschiedener Kulturen, betreibt Daniela mit ihrem Verein punktgenau: Sie hat einen „Riecher“ dafür, Künstler*innen aus verschiedenen Ländern und Hintergründen zusammen zu spannen. Da holt sie usbekische Musiker und Tänzerinnen nach Wien und lässt sie ein paar Tage lang gemeinsam mit einer in Wien ansässigen türkischen Musikgruppe proben und dann gibt’s als Experiment ein gemeinsames Konzert. Schlichte Begründung: „Die Musikinstrumente weisen Verwandtschaften auf und es sind ja alles Turk-Völker.“ Dass eine der Tänzerinnen eine Schweizerin ist, die mit 17 Jahren nach Usbekistan gereist ist, um die dortige Tanzkunst zu lernen, ist für Daniela fast schon eine Selbstverständlichkeit.
In Zukunft möchte Daniela gerne österreichische Musiker*innen in die zentralasiatischen Regionen bringen. Sie hat bereits Kontakte zu großen internationalen Musikfestivals wie etwa in Samarkand geschlossen.
Warum nicht selbst eintauchen in diese unbekannte Welt? Die nächste Gelegenheit bietet sich am 15. März 2019: Da gibt’s das klangliche Ergebnis des usbekisch-türkischen Experiments und im Anschluss einen Wochenend-Tanzworkshop. Mehr dazu auf kulteurasia.org.
Und der Vollständigkeit halber: Daniela ist seit 2000 begeisterte Wienerin und kam hierher, „weil mir die Stadt so gut gefallen hat.“ Sie wohnt in Penzing. Ihrer griechischen Tanzgruppe „I Parea“ ist sie treu geblieben, trainiert wird im Club International in Ottakring.