Wohnprojekt? Kulturprojekt? Institution?

Die „Sargfabrik“ in der Goldschlagstraße
„Am Anfang stand die Unzufriedenheit mit den (damals schon) teuren Wohnungen, die außerdem fast alle für ‚normale‘ Vater-Mutter-2-Kinder-Familien passten (wenn überhaupt!).“ Das war Ende der 1980er/Anfang der 1990er-Jahre. Und da war eine seit Anfang der 70er-Jahre langsam verfallende Fabrik in Wien Penzing …
Seit 1996 wohnen dort ganz unterschiedliche Menschen Kinder und Erwachsene – jüngere und ältere; nicht nur aus Österreich, sondern auch aus Deutschland, Syrien, Schweden, Nigeria, …
Das Projekt wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und ist „das größte selbstverwaltete und selbstinitiierte Wohnprojekt Österreichs“[1]. Das bedeutet, dass sie die Bewohner*innen ihre eigene Hausverwaltung sind, die Hausordnung selbst beschließen und die Einhaltung kontrollieren,
UND auch das Budget selbst beschließen und verwalten. Uns hat interessiert, wie die Bewohner*innen ihre Anlage sehen – und wie diese von den Nachbar*innen gesehen wird.
Heute bietet „die Sargfabrik“:

  • Zwei Standorte (Goldschlagstraße und Missindorfstraße)
    mit etwa 100 Wohneinheiten (35 – 120m2)
  • für ungefähr 200 Menschen
  • ein Badehaus
  • ein Kinderhaus für 2 – 10-jährige nach reformpädagogischen Konzept
  • ein Seminarhaus
  • die Kantine14, einen sozialökonomischen Gastronomiebetrieb
  • und das wienweit bekannte Kulturhaus

Sie alle können auch das Leben von Menschen verschönern,
die nicht in der Sargfabrik wohnen.
Die Sargfabrik aus Sicht der Bewohner*innen
Was war aus Ihrer Sicht die wichtigste Idee hinter dem Sargfabrik-Projekt – warum wurde es begonnen?
Wir wollten preisgünstiges Wohnen für mehrere Generationen. Und wir wollten nicht nur gegen etwas sein, so wie gegen die Atomkraftwerke. Das von uns mitgestaltete WUK war eine Lösung auf Werkstättenebene; nun war das gemeinschaftliche Wohnen der nächste logische Schritt.

  • Es war uns wichtig, viel mehr selbst zu bestimmen und viel mehr Dinge zu teilen: die Transport-Rodel für Pakete ist eines dieser Dinge, aber auch der Dachgarten oder das Badehaus.
  • Wichtig ist die Größe des Projektes: 200 Personen sind ein kleines „Dorf in der Stadt“; so hat jede und jeder Rückzugszonen, aber auch Interessens-Gemeinschaften. Niemand muss überall mitmachen, aber alle dürfen, wenn sie wollen.

Was davon hat sich erfüllt, was ließ sich nicht verwirklichen?

  • Das Grundprinzip ist aufgegangen (Dank der Größe des Projektes). – Aber fertig ist es nie!
  • Wir haben Platz für alte, für beeinträchtigte und für geflüchtete Menschen reserviert. Die beiden letzteren Gruppen sind heute anerkannte und geschätzte Mitglieder unserer Gemeinschaft. Das Konzept für alte Menschen, die sich Betreuung und Pflege teilen, ist noch nicht realisiert.
  • Wir wollten auch Werkstätten, wie z.B. eine Tischlerei, haben; das hat so nicht funktioniert, aber immerhin sind in anderen Bereichen ca. 25 Arbeitsplätze entstanden. Auch die Angestellten folgen den grundlegenden Werten des Projektes. Zum Beispiel kommen sie aus ökologischen Gründen mit dem Fahrrad bzw. den Öffis.

Was ist überraschend oder zufällig am Weg entstanden?

  • Aus dem Zweigenerationen-Projekt wurde mit dem Altersfortschritt der Gründungsgeneration inzwischen ein Dreigenerationen-Projekt. Eine neue Herausforderung!
  • Ursprünglich hatten wir keine Kindergruppe geplant. Die ist auf dem Weg entstanden. Das zweijährige Kind einer Mitbewohnerin hätte den Kindergartenplatz erst mit 7 Jahren bekommen. Gespräche mit der Bezirksvorsteherin zeigten ein klares Ergebnis: „Was immer ihr anbietet, wir brauchen es.“ Aus der Kooperation mit der Kindergruppe „Schmetterling – Leptir“ (einer Initiative von aus den Balkankriegen geflüchteten Menschen) entstand schließlich der Kindergarten der Sargfabrik.
  • Aus dem vielfältigen Engagement derer, die hier wohnen, entstanden neue Initiativen, die über unser Projekt hinaus wirksam sind, wie z.B. das „Lebenswerte Matznerviertel“ (Ziel: Belebung des Grätzels und Gestaltung des öffentlichen Raumes im Umfeld der Sargfabrik) oder der „Matznergarten“ als Gemeinschaftsgarten am Rand des Matznerparks.
  • Was mich wirklich nervt ist, dass keiner ein Auto hat, wenn man einmal was transportieren muss!
  • Es ist faszinierend, wie gut es gelungen ist, dass die Gemeinschaft auch nach einem Vierteljahrhundert noch so gut funktioniert.

Die Sargfabrik aus Sicht ihrer Nachbar*innen
Was fällt Ihnen ein, wenn Sie „Sargfabrik“ hören?

  • Die ist da unten irgendwo …
  • Ein Restaurant oder sowas, oder?
  • Kenn ich nicht.
  • Was mich geärgert hat war, dass wie sie gebaut haben, sie nicht so wie alle anderen entsprechend viele Parkplätze bauen mussten, obwohl das damals noch Gesetz war. Aber die, die dort arbeiten, nehmen dann den Anrainern Parkplätze weg.
  • Liebe Leute eigentlich, sehr sozial. Aber Hunde mögen Sie nicht.
  • Das war seinerzeit die größte Sargfabrik in der Monarchie.
  • Die kenn ich aus Zeiten, wo sie noch nicht umgebaut war. Lokale und so. Und Veranstaltungen. Ah ja, ich glaub, da sind Wohnungen drüber.
  • Veranstaltungen – und ein Beisl?
  • Eine Fabrik, wo Särge hergestellt werden?
  • Die versuchen doch, die Allee der Goldschlagstraße auch nach der Missindorfstraße fortzusetzen – falls das noch aktuell ist.

im + er