Vergessen und verwahrlost

Es ist das Jahr 2019, die Zeit des „smarten“ Wohnens. Wohnungen ohne WC und Wasser gehören der Vergangenheit an, oder nicht? Eine Bewohnerin einer Altbauwohnung (nennen wir sie Frau G.) erzählt.
VORwORTe: Was haben Sie auf Ihrer Wohnungssuche in Wien erlebt?
Bewohnerin: Gegen Ende der 1980er Jahre war es sehr schwer, eine leistbare, unbefristete Mietwohnung in Wien zu finden. Gemeindewohnungen kamen aufgrund langer Wartezeiten nicht in Frage. Oft waren die Mieter der Willkür der Eigentümer ausgesetzt, vor allem, was die Miete anbelangt. Ich habe damals von einem Bekannten von einem Hausei-gentümer erfahren, der menschlicher sei. Bei der Wohnungsbesichtigung ist mir versichert worden, dass die Stiegen-häuser in wenigen Jahren saniert würden. Die Wohnung, die mir dieser Herr gezeigt hat, hatte weder Strom noch Was-ser, sondern es gab Bassena und WC am Gang. Beides musste mit mehreren Parteien geteilt werden. Für dieses Skelett einer Wohnung hat der gute Mann auch noch eine sehr hohe Ablöse verlangt.
Warum sind Sie trotzdem in diese Wohnung eingezogen?
Nach monatelanger Suche mit niederschmetternden Erfahrungen – auch aufgrund eines niedrigen Budgets – war die Aussicht auf einen unbefristeten Mietvertrag trotz der enormen Ablöse ein Segen für mein Wohlbefinden. Zudem habe ich damals noch geglaubt, dass das Haus tatsächlich saniert werden würde; schließlich haben wir Mieterschutz-gesetze!
Wie konnten Sie sich die enorme Ablöse trotz ihres geringen Budget leisten?
Ich habe mir die Summe für die Ablöse (von Freunden und Bekannten) ausgeborgt. Natürlich war ich jahrelang ver-schuldet, aber zumindest konnte ich mir von meinem Gehalt die Miete leisten.
Was hat sich seit Ihrem Einzug verändert?
Ich habe meine Wohnung so lebenswert wie möglich gestaltet; so wie viele Mitbewohner*innen der beiden zu-sammengehörenden Häuser vieles in Eigeninitiative verbessert haben. Besonders gelungen ist uns der Hof mit seinen prächtigen Pflanzen, eine Oase an Sommerabenden. Früher haben hier auch Kinder gespielt. Dann sind die beiden Häuser von einem neuen Eigentümer übernommen worden.
Dann hat sich die Lage sicherlich verbessert?
Seit der Neuübernahme hat es – wie so oft in diesen Fällen – eine regelrechte Mieterflucht gegeben. Nur noch drei der 20 Wohnungen sind benutzt, und die Hausverwaltung bemüht sich sehr, auch die letzten verbliebenen Mieter*innen zu verjagen. Erst hat sie den Grünbereich im Hof entfernen lassen, sogar Blumentöpfe von den Fensterbrettern. Dann hat sie ein Eingangstor aus Plexiglas einbauen lassen, ohne Schloss. Vor einigen Jahren sind in beiden Häusern so ge-nannte „Smart-Meter“, elektronische Stromableser, eingebaut worden. Sie hatten Feuerwehreinsätze zur Folge, weil die Arbeit, wie von der Feuerwehr später erklärt, einfach schlampig war. Die Mieter*innen werden über keinerlei Än-derungen informiert, wir sollen dazu gebracht werden, „freiwillig“ auszuziehen.
Es gibt doch Einrichtungen zum Schutz der Mieter, die Sie aufsuchen könnten?
Nach einer langen Pause entgegnet Frau G., dass all ihre Versuche vergebens waren. Sie habe nicht genug Geld, um gehört zu werden. Auch andere Mieter*innen hätten sich an diverse Behörden und Ämter gewandt, aber ohne Erfolg. Leise meint sie, dass die Hausverwaltung sehr viel Geld und damit Macht besitze. Ein Mitarbeiter habe ihr inoffiziell mitgeteilt, dass beide Stiegenhäuser saniert und modernisiert werden. Aber davor müssten die un-befristeten Mieter*innen weg.
Warum ziehen Sie nicht einfach um?
Das erlaubt meine magere Pension nicht. In den letzten 40 Jahren habe ich viel Geld und Mühe in meine Wohnung investiert, wie kann ich da mein Heim verlassen? Das Haus ist robust, das kann noch Jahrhunderte überstehen; bloß müsste es dafür dringend saniert werden. Die Schikanen der Hausverwaltung muss ich aushalten, aber unangenehm wird es, wenn Gäste nach dem schlechten Zustand des Hauses fragen. Auch mein gesellschaftliches Leben leidet in diesem verwahrlosten Haus. Mittlerweile gleichen die Stiegenhäuser aufgrund der 80%igen Unterbelegung einem Geisterhaus.
Wie blicken Sie der Zukunft entgegen?
Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Die Hausverwaltung versucht mit allen Mitteln, die paar verbliebenen Mie-ter*innen zu vergraulen. Nach einer Sanierung würde sich die Miete vervierfachen, das kann ich mir nicht leisten. Diese Ungewissheit belastet mich körperlich und seelisch. Ich traue mich kaum mehr, Gäste einzuladen. Ich habe auch vermehrt mit Strom- und Wasserleitungsstörungen zu kämpfen. Auch Schimmel und Ungeziefer sind mittlerweile keine Seltenheit mehr.
Am Ende unseres Gesprächs herrscht bedrückende Stille. Bevor wir uns verabschieden, legt mir Frau G. eine Bitte ans Herz: Ich möge ihren Namen nicht erwähnen, denn sie traue dieser Hausverwaltung jede Skrupellosigkeit zu.
ff