Die Wunderkammmer in der Sandburg Ottakring

Karsten Michael Drohsel
Im Rahmen des heurigen Festivals „SOHO in Ottakring“ ließen der Künstler, Urbanist (Städteforscher) und Spielentwickler Karsten Michael Drohsel und seine Projektpartnerin, die Urbanistin Annika Hollmichel, in der Rosa-Luxemburg-Gasse eine temporäre, nur für den Zeitraum des Festivals aufgebaute „Wunderkammer“ entstehen.
Ziel dieser Wunderkammer war, Menschen über die Geschichten, welche mit persönlichen Gegenständen verbunden sind, ins Gespräch zu bringen. Dafür dachten sich die Künstler*innen eine Reihe an Formaten, Workshops und Produkten aus, wie beispielsweise eine „Objektwand“, verschiedene Spiele und einen mobilen Arbeitstisch.
Menschen zeichnen Objekte und erzählen Geschichten – Wie eine Wunderkammer entsteht
Vom ersten Moment des Projekts an sprachen die beiden Menschen an, die vorbeigingen oder gerade vor Ort waren und baten sie, einen wichtigen persönlichen Gegenstand und ein Selbstporträt zu zeichnen. Wichtig war dabei nicht, wie gut jemand zeichnen konnte, sondern dass sie bzw. er mitmachte und die gerade gezeichneten Objekte und Bilder sowie die dahinterstehende Geschichte der Wunderkammer stiftete.
Über den Zeitraum von 14 Tagen entstand so eine Sammlung an Objekten, die die bunte Welt des Sandleitenhofs abbildeten und die Menschen vor Ort sowie auch die Besucher*innen des Festivals einluden, über die Gegenstände ins Staunen und ins Gespräch zu kommen.
Durch verschiedene aufsuchende und vermittelnde Formate – wie zum Beispiel einer mobilen Wunderkammer (ein fahrbarer Kasten, der mit wenigen Handgriffen zu einem Tisch umfunktioniert werden konnte) oder einigen Spielen und Museumsprogrammen (die mit und beim Kooperationspartner Wiener Volkskundemuseum angeboten wurden), besuchten sie auch die kunstschule.wien, die Volksschule in der Julius-Meinl-Gasse, den Pensionist*innen-Club in der Liebknechtgasse und das Café Matteotti. Durch diese Vorgehensweise konnten persönliche Verbindungen zu Gegenständen und den sie stiftenden Personen hergestellt werden. Dies war oft sehr spannend, lustig und herzlich aber manchmal auch sehr tiefsinnig, denn die Objekte haben bisweilen auch mit Verlust der Heimat, einer geliebten Gewohnheit oder Person zu tun.
Die Sammlung wächst und wird zum Kunstwerk
Im Laufe des Projektes wuchs die Objekt- und Geschichten-Sammlung stetig an und von Tag zu Tag waren in der Wunderkammer immer mehr Bilder zu sehen sowie Geschichten und Menschen dahinter zu entdecken. Immer häufiger kamen auch Interessierte vorbei, die staunend vor der Ausstellungswand standen und das Gespräch mit den Künstler*innen suchten. Oftmals war dann zu hören „Ach! So ein Taschenmesser hat mir mein Großvater mal geschenkt“, oder „Was ist denn die Geschichte hinter dem Waschbär?“
Um schließlich die Spender*innen und die Interessierten zusammenzubringen, veranstaltete das Projektteam ein abschließendes „Fest der Dinge“, zu dem alle, die etwas gegeben hatten, sowie die, die an den Personen hinter den Objekten interessiert waren, eingeladen wurden, in einen direkten Austausch zu treten. Mit Hilfe der eigens für diesen Anlass gestalteten Spiele (Grätzel-Quartett und Geschichten-Würfel) gelang das dann auch besonders gut.
Zum Abschied gab es zwei Ansprachen, die das gesamte Projekt nochmal Revue passieren ließen. Mit Musik (u.a. von Stefan Peter) sowie vielen schönen Gesprächen mit Nachbar*innen und Festival-Besucher*innen fand das Projekt am späten Abend seinen Ausklang.
Die zur Verfügung gestellten Objekte sowie die Ergebnisse der Workshops sind digital dokumentiert und können hier: www.instagram.com/wunderkammmer/ angesehen werden.
Die Wunderkammer – Wundern, Staunen, Welt erschließen
Im 15. Jahrhundert, in der beginnenden Renaissance, kam großes Interesse an einer Einrichtung auf, in der natürliche, künstlerische und kuriose Objekte gesammelt wurden. Diese Objekte wurden in eigenen Räumen, den sogenannten „Wunderkammern“ aufbewahrt, welche als Vorläufer der heutigen Museen zu verstehen sind.
Die Einrichtung einer Wunderkammer ermöglichte es, den komplexen, schwer fassbaren Kosmos anschaulich zu präsentieren. Die Besucher*innen konnten die ausgestellten Objekte bestaunen, sich über sie wundern und rätseln, was sie wohl bedeuten könnten. Allerdings war es auch unbedingt gewollt, die Objekte anzufassen, sich darüber auszutauschen und ins Gespräch darüber zu kommen. Auf diese Weise wurde die Neugier der Besucher*innen an der Bedeutung dieser Objekte und den damit verbundenen Geschichten geweckt sowie Lust auf das Lernen neuer Dinge gefördert.
„Wir wollen mit unserer Arbeit und der entstehenden Sammlung zeigen, dass ein Stadtteil, wie zum Beispiel Sandleiten in Wien, auch als Beziehungsnetz interpretiert werden kann, in dem Gegenstände jeglicher Art und die dahinter stehenden Menschen und Geschichten unsichtbar miteinander verbunden sind.“ Karsten Michael Drohsel